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Nächste „Gewissensentscheidung“ der CDU: Warum die Verfassungsreform in Sachsen geplatzt ist

Die Union hat ihre Juniorpartner am Dienstag darüber informiert, dass es nicht genügend Stimmen für die ausgehandelten Reformen für mehr direkte Demokratie und Klimaschutz als Staatsziel gibt.

Dresden. Knapp zwei Stunden saßen die Spitzen von CDU, Grünen und SPD am Dienstag zusammen. Es soll friedlich geblieben sein. Womöglich wird sich der Koalitionsausschuss vor der Sommerpause auch noch einmal treffen. Viel zu erwarten haben die drei Partner allerdings nicht mehr voneinander.

Fünf Monate vor der Landtagswahl scheint das aushaltbar zu sein. Nur was es heißt es für die Zeit nach dem 1. September? Folgenlos dürfte es jedenfalls nicht bleiben, dass nun auch ein Versprechen mit Symbolkraft unerfüllt bleibt.

Nach dem Nein zu einem Vergabegesetz vor der Wahl mit neuen Regeln für Ausschreibungen der öffentlichen Hand und zu einem Agrarstrukturgesetz gegen Spekulationsgeschäfte mit Ackerflächen wartete die CDU - mit 32,1 Prozent zur Sachsen-Wahl 2019 der Seniorpartner des Dreierbündnisses - am Dienstag nämlich mit der nächsten Absage auf. Dieses Mal betraf es die geplante Verfassungsreform.

Keine Mehrheit für Verfassungsänderungen

Erleichtert werden sollte die künftige Wahl der Verfassungsrichter. Vorgesehen war auch der Klimaschutz als Staatsziel. Dazu war ein Bekenntnis zu einem die Eigenständigkeit der Regionen wahrenden Europa geplant - sowie eine zusätzliche Erlaubnis für elektronisch geführte Gesetze und Verordnungsblätter. Das Herzstück aber war die Erleichterung der direkten Demokratie mit deutlich abgesenkten Unterschriftenquoren für Volksantrag und Volksbegehren.

Die Details dazu waren im Koalitionsvertrag von 2019 schon bis ins Kleinste ausgehandelt worden. Zudem sollte Bürgern bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen deren Prüfung per„Popularklage“ vor dem Verfassungsgerichtshof ermöglicht werden - um damit dem von CDU-Landeschef Michael Kretschmer im Landtagswahlkampf 2019 angekündigten, rechtlich aber nur schwer umsetzbaren „Volkseinwand“ zumindest in Ansätzen gerecht zu werden.

CDU spricht von “Gewissensentscheidungen”

Trotzdem teilte die Unionsfraktion nun Grünen (2019: 8,6 Prozent) und SPD (7,7 Prozent) mit, dass zwar die Mehrheit ihrer 44 Abgeordneten eine Verfassungsänderung „grundsätzlich“ mittragen würde - die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit im Plenum jedoch „nicht mehr zu erreichen“ sei.

Zur Begründung wurde neben dem Austritt des Vogtländers Stephan Hösl aus Partei und Fraktion auf die Ablehnung des mit Grünen und SPD ausgehandelten Reformpakets durch vier CDU-Abgeordnete verwiesen. Fraktionsvize Sören Voigt, auch Vogtland-Chef der CDU, sprach von „Gewissensentscheidungen“, die man fraktionsintern respektiere.

Namen nannte Voigt nicht. Kein Geheimnis aber waren die Vorbehalte von Rechtsausschusschef Marko Schiemann, dem vor allem eine neu eingebaute Zustimmungshürde für Volksentscheide missfiel, und von Alterspräsident Svend-Gunnar Kirmes, der Verfassungsänderungen grundsätzlich skeptisch gegenüberstand. Dagegen votierten fraktionsintern nach „Freie Presse“-Informationen zudem Innenausschusschef Ronald Pohle aus Leipzig und Ines Springer aus Glauchau, die im Herbst aus dem Landtag ausscheidet.

Heftige Kritik von Rot-Rot-Grün

Zur Zwei-Drittel-Mehrheit hätte es im 119-köpfigen Parlament aber nicht nur die Kenia-Koalition (66 Sitze) vollständig gebraucht, sondern auch die oppositionelle Linke (14 Sitze). Deren Fraktionschef Rico Gebhardt kritisierte, der CDU seien „Parteiinteressen wichtiger als eine gute Zukunft für Sachsen“. Die Verfassungsänderungen wären zumindest „ein erster Schritt nach vorn“ gewesen, sagte er - und fragte: „Wer will mit einer Partei regieren, die auf jeden Koalitionsvertrag pfeift?“

SPD-Chef Henning Homann nannte die CDU-Führung „entweder nicht willens oder nicht in der Lage“, für die Mehrheit in den eigenen Reihen zu sorgen. „Dass die CDU ihre eigenen Wahlversprechen bricht, ist ihr Problem, das Signal an die engagierten Bürgerinnen und Bürger in Sachsen ist jedoch fatal.“ Egal ob Vergabegesetz, Reform der Schuldenbremse oder jetzt Bürgerbeteiligung: „Auf die CDU ist kein Verlass mehr.“

Grünen-Fraktionsvize Valentin Lippmann, der an der Erarbeitung der Verfassungsreform maßgeblich beteiligt war, sprach unter Verweis auf die Wahlversprechen des CDU-Chefs von einer „empfindlichen Niederlage für Ministerpräsident Michael Kretschmer“, aber auch von einem „schlechten Tag für den Freistaat Sachsen“.

Die Stimmung war koalitionsintern eh schon durch einen denkwürdigen Auftritt im Bundesrat getrübt. Ebenfalls als „Gewissensentscheidung“ hatte Kretschmer dort am Freitag der vergangenen Woche sein Abstimmungsverhalten zum Cannabis-Gesetz bezeichnet - mit dem er freilich den Koalitionsvertrag verletzte, wie Grüne und SPD danach feststellten.

Wie in anderen Bundesländern üblich, schreibt auch der sächsische Vertrag bei Uneinigkeit „Enthaltung“ in der Länderkammer vor. Tatsächlich hatte Kretschmers vorfristige Ankündigung, den Vermittlungsausschuss zur Verhinderung der Cannabis-Freigabe anzurufen, genau diese Anrufung und damit die ursprünglich von SPD und Grünen geplante Verbesserung des Gesetzes verhindert.

Streitpunkt Agrarstrukturgesetz

Vize Wolfram Günther hatte danach angekündigt, Kretschmers Verhalten im Koalitionsausschuss anzusprechen. Dies ist nach Angaben aus Teilnehmerkreisen auch geschehen. Der Grüne soll ausdrücklich darauf hingewiesen haben, dass die Nicht-Einhaltung von Versprechen aus dem Koalitionsvertrag die Grundlage für weitere Zusammenarbeit infrage stelle. Günther habe zudem auch am - ebenfalls im Koalitionsvertrag vereinbarten - Agrarstrukturgesetz festgehalten und die CDU-Fraktion, die sich schon öffentlich auf Ablehnung festgelegt hat, zu konkreten Änderungsvorschlägen aufgerufen. Eine Einigung und damit ein Zugeständnis an den Grünen Günther gilt koalitionsintern - so kurz vor der Wahl - als nahezu ausgeschlossen. tz